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"Gewissermaßen
kann man alles Leben einen Unfall' nennen"
Philip K. Dick:
Ubik. München: Heyne 2003, 427 S. -- rezensiert von MaWozniak
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Würde
man der Aussage des amerikanischen SF-Autors Philip K. Dick Glauben
schenken, er habe kurz nach Beginn der Niederschrift die Konventionalität
seines Romans Ubik erkannt und daraufhin alles hineigepackt,
was ihm einfiel, könnte man vermuten, die Handlung sei beliebig
und zufällig. Diese Vermutung trifft aber angesichts der Merkwürdigkeit
und Ausgefallenheit dieses 1969 erstmals erschienenen Romans in keiner
Weise zu. Vielmehr ermöglicht Ubik die Vereinigung von scheinbar
Beliebigem und Zufälligem ohne Probleme; denn Ubik war, ist und
wird immer sein
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Was nun ist
Ubik? Ubik ist Bier, Ubik ist Kaffee, Ubik ist Haarfestiger, Ubik
kann -- nach Vorschrift angewandt!!! -- alles sein. Ubik ist jedoch
nicht nur ein Mittelchen, ein Spray oder so etwas -- Ubik ist "allgegenwärtig";
ist ein Prinzip. Und hiermit nun deutet sich an, worum es in Dicks
Text geht -- um die Allgegenwärtigkeit der Dinge, einschließlich
des Lebens. Das Problem der Protagonisten, und letztendlich auch
unser Problem, ist nur, dass das nicht gewusst und wahrgenommen
werden kann. Wir sehen die immer gleichen Dinge, die aber etwas
ganz anderes bedeuten und mehr als erwartet beinhalten können.
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Die
Handlung beginnt im Jahre 1992. Die Welt ist technisiert und kommerziell
völlig ausgebeutet. Als parodistische Running-Gags erscheinen
immer wieder Türen, die Geld fordern, um sich zu öffnen,
Fernseher, die nur bei Geldeinwurf Bilder zeigen usw. Es gibt aber
auch auf der kognitiven Ebene einige einschneidende Neuerungen --
so das Psi. Man kann z.B. die Zukunft mithilfe von Präkogs zumindest
sehen, auch wenn man sie nicht verändern kann. Menschen mit solchen
Fähigkeiten (also auch Telepathen, Parakinetiker, Wiederaufersteher
und Animatoren) arbeiten in Firmen, die entsprechende Dienste anbieten.
Wie es sich gehört, gibt es entsprechende Anti-Psi-Schutzgesellschaften,
deren Mitarbeiter, genannt die "Inerten", diese Fähigkeiten
mit ähnlichen Fähigkeiten aufheben können. Darüber
hinaus endet das Leben auch nicht abrupt mit dem Tod, denn es ist
technisch möglich geworden, in Moratorien gut gekühlt eine
gewisse Zeit ein sogenanntes Halbleben zu führen, welches das
Pendant zur vorgeburtlichen Entwicklung darstellt. |
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Glen Runciter,
Chef der Anti-Psi-Schutzgesellschaft Runciter-Associations, nimmt
während einer Wirtschaftsflaute einen Job für 11 Inerte
auf dem Mond an. Dort angekommen, werden die Mitarbeiter Opfer eines
Bombenanschlages, wobei sie jedoch nicht sterben. Vielmehr ist gar
nicht klar, wer bei diesem Anschlag ums Leben gekommen ist. Für
die Inerten und ihren Feldtester Joe Chip ist ihr Chef Runciter
umgekommen. Für Runciter wurden alle Mitarbeiter ins Halbleben
befördert. Mit Sicherheit weiß das aber keiner. Auch
die folgenden mysteriösen Agonien der Inerten, die Manifestationen
von rückwärts laufender Zeit und die permanenten Hinweise
auf Ubik geben den Protagonisten keinen Aufschluss über ihre
Situation. Unter größten Anstrengungen beschafft sich
Joe Chip, mittlerweile im Jahre 1939 lebend, eine Flasche Ubik-Spray
und kann sich so gegen den Störenfried des Halblebens und die
Personifikation des Bösen, einen gewissen 15-jährigen
Jory, schützen. Dessen Gegenpart stellt Runciters halblebende
Frau Ella dar, die mit anderen Halblebenden das Ubik entwickelt
hat. Als Joe Chip ihren Platz einnimmt, entpuppt sich Ubik als biblisches
Wort, als Wille schlechthin, der Raum und Zeit und Leben schafft.
Die Manifestationen gehen weiter, nun jedoch für Runciter,
den vermeintlich Lebenden, womit der Text abbricht. Damit ist der
Bogen geschlossen; sowohl das Ubik hat alle zeitabhängigen
Seinszustände durchlaufen, als auch die Protagonisten Chip
und Runciter.
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Die
vielen Anspielungen und Details des Textes ergeben mit der eigenwilligen
Handlung eine originelle Mischung. Es handelt sich bei Ubik
also keinesfalls um einen konventionellen SF-Text, der durch Konstruktion
einer Gegenwelt nur unterhalten will, sondern um ein anspruchsvolles
Buch zur Reizung aller Sinne. Vor allem die Einbindung verschiedener
Denkmodelle und phantastischer Ideen trägt zur Erzeugung von
Spannung bei, ohne ausschließlich dafür funktionalisiert
zu sein. Nie weiß der Leser, wo er sich gerade befindet, in
welcher Zeit, in welchem Zustand und in welchem Raum -- vielmehr müssen
alle devolutionären Ereignisse sofort verarbeitet werden und
fordern ständiges Handeln, das meist ohne Erfolg bleibt, da jegliche
Beurteilungskriterien versagen. Neben der darin enthaltenen Kritik
am Normativen flicht Dick noch etliche Details ein, die vor allem
komisch sind. Jedes der 17 Kapitel beginnt zudem mit einem kleinen
Spruch über Ubik, dem Allroundprodukt für jede Lebenslage.
Dabei wird nicht nur die Werbung parodiert, sondern es deutet sich
das Motto jedes Kapitels an. Die Mehrschichtigkeit des Romans -- er
ist satirisch, unterhaltsam, aber auch tragisch -- macht ihn vor allem
für SF-Skeptiker empfehlenswert. Die neueste deutschsprachige
Ausgabe beim Heyne-Verlag mit der Übersetzung von Renate Laux,
Alexander Martin und Jürgen Langowski enthält übrigens
auch das Drehbuch dieses nie verfilmten Romans. Dicks Texte bildeten
schon öfter die Vorlage für Verfilmungen, so zuletzt für
Minority Report oder für den auch überaus empfehlenswerten
Schwarzeneggerstreifen Total Recall. |
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