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Der Tonfilm
ist nicht stumm
Ein ehrgeiziges
und kostspieliges Projekt von arte und dem RSB brachte Eisensteins
Klassiker Alexander Newski als Filmkonzert ins Konzerthaus
- MaW war dabei.
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Der
Stummfilm als totes Genre ist nicht nur in seinem expressiven Charakter
einzigartig. Es stellt Handlung eben nicht nur durch Pantomime dar,
sondern kann und muss durch Musik begleitet werden. Für gewöhnlich
erwartet man bei einer Filmaufführung mit Livemusik dementsprechend
einen Stummfilm. Dadurch verschafft man dem Stummfilm einerseits die
überfällige Popularität, andererseits würdigt
man die größtenteils anspruchsvollen Kompositionen, die
zudem eine zweite dramatische Perspektive eröffnen. Am 16. Oktober
2003 war zur Aufführung von Sergej Eisensteins Alexander Newski
im Großen Saal des Konzerthauses am Gendarmenmarkt alles anders.
Zum einen handelt es sich bei diesem Historienfilm von 1938 um einen
Tonfilm. Zum anderen ist die Musik dieses stalinschen Auftragswerks
von keinem Geringeren als Sergej Prokofjew komponiert, wobei als Besonderheit
ein Chor eine wichtige Rolle übernahm (diese Rolle ist durchaus
im Zusammenhang mit einem klassischen Theaterverständnis und
mit Schillers Forderung nach Einheit von Ideellem und Sinnlichem durch
die Einführung des Chores zu sehen; vgl. Schiller: Über
den Gebrauch des Chores in der Tragödie). Als ehrgeiziges Gemeinschaftsprojekt
mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin verfolgte arte die
Rekonstruktion dieses Films, wobei die Kooperation mit vielerlei Archiven
in der ganzen Welt und ein großer finanzieller Aufwand notwendig
war. Natürlich überwog das Interesse und die künstlerische
Würdigung Eisensteins und vielmehr Prokofjews; denn in erster
Linie galt es, durch unermüdliche Recherchen die Originalpartitur
zu rekonstruieren, weil vor allem die Tonspur des Films beschädigt
war. Insgesamt muss die Veranstaltung als Hommage an den russischen
Film verstanden werden, was von Anfang an zu spüren gewesen ist.
Ansonsten hätte die Aufführung dieses Paradebeispiels des
stalinistischen Kinos auch keine Berechtigung gehabt. |
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Die Handlung
des Films ist auf eine große Schlacht des erfolgreichen Fürsten
und der russischen Legende Alexander Newski reduziert. Aus dem Livländischen
kommend erobert der Deutsche Orden Anfang des 13. Jahrhunderts das
Fürstentum Pskow. Alexander Newski, der Sieger beim Kampf der
Russen gegen die Schweden, wird aus Jaroslawl gerufen, um Nowgorod
zu verteidigen. Er plant jedoch, die Ordensritter aus Russland zu
vertreiben und stellt ein Volksheer (unter besonderer Berücksichtigung
der Bauern) auf. Zwischen Nowgorod und Pskow treffen sich am 5.
April 1242 die Heere am Peipussee und der Deutsche Orden wird angeblich
vernichtend geschlagen.
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Das
Konzept des Films ist ganz klar und soll im Folgenden kurz beleuchtet
werden. Es geht um die Konstruktion einer Traditionslinie russischer
Geschichte. Das russische Volk mit den Präferenzen der Heimaterde
und der Volksgemeinschaft hat demzufolge seine Ursprünge eben
nicht in der Revolution, sondern schon immer, bzw. spätestens
seit Newski. Im 13. Jahrhundert ist Alexander Newski der einzig fähige
Fürst, das angeblich vereinigte russische Volk zu führen.
Die Widerstände russischer Fürsten sind nur machtpolitischer
aber nicht patriotischer Art. Auch sind sie in jedem Fall als Volksverrat
zu werten, da es russische Tugend ist, nicht nur das Land zu verteidigen,
sondern den kriegerischen Eindringling vernichtend zu schlagen. Die
Botschaft des Films ist tatsächlich zu reduzieren auf die Schlussworte
Newskis (kongenial dargestellt von Tscherkassow): "Wer jedoch
mit dem Schwert kommt, wird durch das Schwert umkommen". Noch
schmachvoller ist nur der Verrat am eigenen Volk, der besondere Aufmerksamkeit
genoss und im Film beispiellos instrumentalisiert wurde. |
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Dieses Auftragswerk
Stalins ist in demagogischer Hinsicht vor allem interessant durch
die Darstellung der angeblichen Einigkeit des Volkes. Bauern kämpfen
Seite an Seite mit Fürsten und alle sind beseelt von dem Gedanken
der Befreiung vom Joch. Dass dieses Joch vom Deutschen Orden auferlegt
wurde, wird sofort im nationalistischen Volksgedanken ausgelegt als
Joch eines anderen Volkes. Dabei sind die missionarischen Absichten
zugunsten der kolonialistischen Bestrebungen ausgeräumt. Die
Ordensritter sind einfach die Deutschen. Ihre Siege, die durch moderne
Kriegsführung und eiserne strategische Disziplin errungen wurden,
können angesichts der geeinten Masse des russischen Volkes
nicht siegreich bleiben. Hierbei war die Darstellung durchaus militärisch
korrekt. Die Kampftechnik der Ordensritter ist filmtechnisch brillant
als überlegen gezeichnet worden. Allerdings diente das zur
Stilisierung der Heldenmütigkeit eines einigen Volkes. Newski
sagt während des Kampfes nicht umsonst, dass es um die Hand
geht, die das Schwert führt, und nicht um das Schwert selbst.
Die strategischen Tricks Newskis sollten den Sieg ehrenhafter machen,
wiewohl es fast immer um Ehre und Tapferkeit ging. Das vergossene
Blut wurde ja nicht umsonst vergossen. Die Totenkultszenen waren
dementsprechend genauso ausführlich wie die Kampfszenen.
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Überhaupt
war das Wichtigste der sinnvolle Tod, das Aufopfern für eine
gerechte Sache. Nicht nur in dieser Hinsicht war der Film absolut
propagandistisch. Er forderte nicht nur das Opfer, sondern er belohnte
das Opfer auch. Wer sein Leben opfert, der ist der Tapferste. Zwar
ist auch die kämpfende Frau tapfer, aber dem Tapferen gegenüber
schwört jede russische Frau ewige Treue, weil er ihre Heimat
verteidigt hat. So wollte die umworbene Olga dem Tapfersten ihre Hand
geben. Der Tapferste aber ist der, der auf dem Felde der Ehre bleibt.
Die Verquickung der historischen Fakten mit einer idealistischen Liebe
hatte unglaubliches dramatisches Potential und spielt durchaus mit
russischen Klischees. So wird beispielsweise auch die Ehrfurcht vor
der Mutter propagiert und die Verschlagenheit des russischen Menschen
aufs Korn genommen. Weiterhin sind mittelalterliche Motive komisch
verarbeitet, z.B. in der Schlachtszene, in der Wassili gleich Pantagruel
oder Rennewart mit einer langen Stange kämpft. |
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Was die Musik
betrifft, so übertraf die Livebegleitung alle Erwartungen.
Der Raumklang eines großen Orchesters mit außergewöhnlicher
Musik war einzigartig. Typisch für Prokofjew war natürlich
die Themenarbeit. Für jeden Charakter des Films gab es ein
eigenes Thema, so dass der bildlich schon gut strukturierte Film
zusätzlich durch die Musik geordnet wurde. Analog zu den Massenszenen
bot der Chor eine erhabene Stimmung. Er symbolisierte mehr als ein
Volk, oder eine Volksseele, er vereinte wirklich den Gedanken mit
dem Gefühl im Sinne Schillers. Mehrere Hauptstrukturmerkmale
waren im Zusammenspiel von Musik und Film erkennbar. Einmal kehrten
immer die gleichen Ortseinstellungen mit ähnlichen Musikthemen
wieder (Pskow; Nowgorod, Jaroslawl). Zum andern wurden den Charakteren
entsprechend die Themen gewechselt. Die Ordensritter bekamen tiefe
Töne (von Tuben und Posaunen), die Russen immer Violinen, Flöten
und Klarinetten. Dadurch konnten die Massenszenen von Kammerspielen
schon durch den Instrumenteneinsatz getrennt werden, sowie die Chorszenen
den tragisch-pathetischen Part übernehmen.
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Angesichts
des Produktionsjahres verwundert es im Nachhinein etwas, dass hier
die prophetische Dimension so zutreffend ist. Die Assoziationen überschlagen
sich und suggerieren Berechnung durch die politische Riege Russlands,
sprich Stalins. Ob hier bewusst die Newski-Legende gewählt wurde,
um ein deutsches Feindbild aufzubauen, muss kritisch betrachtet werden.
Das Publikum zumindest konnte sich ob der deutlichen Textstellen vollkommen
indentifizieren und honorierte das auch ständig durch Gelächter.
Überraschenderweise ließ sich der Vizepräsident von
arte bei der feierlichen Eröffnung auch dementsprechend
vernehmen, dass der Film mit "uns (!) Deutschen" zu tun
hätte, er saß, wie übrigens das gesamte Publikum,
dem demagogischen Trick des Films auf. |
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Technisch waren
folgende Punkte auffällig. Einerseits überraschte die
dramaturgisch exakte Komposition Prokofjews. Andererseits waren
die Tonsequenzen durch die historische Distanz verfremdet, wogegen
die Musikteile durch ihre Brillanz herausstachen. Der hörbare
Bruch war fast zu auffällig. Es gab natürlich auch kaum
Stellen, wo zugleich mit dem Orchester gesprochen wurde. Größtenteils
war die Trennung gewährleistet. Im ganzen Film gab es nur eine
Stelle, wo in der Filmsequenz die ursprüngliche Musik hörbar
war (und zwar im Lager des Deutschen Ordens, als der Mönch
Orgel spielt - während der Orchesterpassage wurde die Orgel
durch Saxophone realisiert). Am herausragendsten an diesem Film
ist wirklich die Musik, die nicht nur funktional ist, sondern die
Dramatik fast noch übertrifft. Nichtsdestotrotz überzeugte
die filmische Professionalität Eisensteins ebenfalls. Seine
Arbeit mit Kameraeinstellungen und perfekt komponierten Sets benutzt
natürlich typische Mittel. In der Anfangsszene mit den dunkel
und bedrohlich gezeichneten mongolischen Gesandten scheint Alexander
Newski als weiß gekleideter Fischer messianisch auf dem Wasser
zu laufen und seine blonden (!) Jünger zu beschützen.
Die erste Einstellung mit den Ordensrittern lässt selbige gesichtslos
erscheinen - alle tragen ihre schweren gruseligen Ritterhelme. Eine
weitere symbolische Szene war die Verteidigung des Hochmeisters
(im Film "Magisters") durch die Mönche, die einfach
ihre Kruzifixe als Schwerter benutzten. Angesichts dieser beeindruckenden
Spielchen konnte man auch über die unfreiwillig komischen Reiterszenen
der Ritter im Kampf hinwegsehen. Das Publikum honorierte vor allem
die Leistung der Musiker und bedankte sich mit langem Applaus. Trotz
der Preise, die so um die 30,- EURO lagen, war die Veranstaltung
im Großen Saal des Konzerthauses ausverkauft. Der Film wird
mit der neu eingespielten Musik am 4. Dezember 2003 um 22:45 Uhr
auf arte ausgestrahlt.
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