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"Wir
nennen diesen Raum, fast liebevoll, die Zone" (155) und Jana
Hensels Buch, fast angewidert, die Katze im Sack.
Jana Hensel:
Zonenkinder. Reinbek: Rowohlt 2002, 172 S. - rezensiert von MaW
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Angesichts
der fortschreitenden Geschichte und solcher Ankündigungen, wie
die von unserem Stefan Heym, dass die DDR nicht mehr als eine "Fußnote
der Geschichte" bleiben wird, kommt langsam Bewegung in den sich
immer mehr verhärtenden Kampf zwischen dem Ostalgiker und dem
Ostkritiker. Viel zu spät erschienen die ersten wirklichen Auseinandersetzungen
mit einem Staat, der eben nicht nur Institution war, sondern in dem
auch gelebt wurde. Angefangen mit hehren literarischen Versuchen à
la Christa Wolf über feuilletonistische Ratgeber im Stile Daniela
Dahns bis hin zur biografischen Geschichtsklitterung eines Egon Krenz
fiel mit der chronologischen Zunahme an Quantität während
der 1990er Jahre die Qualität auf einen Tiefpunkt. Allerdings
schlägt das Werk von Jana Hensel, Zonenkinder, dem Fass der DDR-Erinnerungen
den Boden aus. Wir mussten schon einiges ertragen, "OstWind"
wehte uns im "NeuLand" um die Ohren, auf der Straße
rief man uns "It's a Zoni" hinterher und trotzdem schien
es dabei zu bleiben: "Eins und eins ist uneins". Wir kaufen
vor allem Produkte "von uns" und sehen uns regelmäßig
die Wiederholungen der "Aktuellen Kamera" in unserem Regionalfernsehen
an. Auch stehen wir auf die Puhdys, von Silly kaufen wir die zigste
Compilation, City ist nach wie vor unser Geheimtipp und auch Helga
Hahnemann und Achim Menzel kennen wir inzwischen. Mit unseren Freunden
Paul und Paula gehen wir ins Kino, also kaufen wir uns auch
Bücher mit dem Titel Zonenkinder. |
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An diesem Zonenkind
scheint man als Leser, zumindest als Ostleser, nicht vorbeizukommen.
Die Zeitungen sind voll davon, die Bestsellerlisten ebenfalls und
die Verkaufszahlen steigen nach wie vor (zur Zeit liegt die 11.
Auflage vor). Handelt es sich endlich um den Text, auf den wir gewartet
haben? Hat überhaupt irgendjemand auf irgendwas gewartet? Oder
geht hier nur ein verkaufstechnisches Konzept auf? Offensichtlich
letzteres! Das Harry-Potter-Phänomen hat die DDR erreicht.
Wie wir nach Hogwarts kommen und Zauberer werden, erfahren
wir nur aus den Bestsellern der Millionärin Joanne K. Rowling.
Wie wir aus der DDR kamen und Wessis wurden - das erfahren wir bei
Jana Hensel. "Wir sind die ersten Wessis aus Ostdeutschland"
(166), schreibt sie und meint damit uns, die Generation der 1970er.
Aber es bleibt mehr als ein schaler Beigeschmack. Beim Lesen kommen
uns unmittelbar Gedanken wie: das wussten wir doch schon; hier wird
uns ja gar nichts Neues präsentiert. Hier wird uns aber auch
nichts Originelles präsentiert und vor allem geht es uns beim
Lesen von Hensels Buch wie ihr beim Betrachten alter Fotografien: "betrachte
ich Bilder unserer Jugend, dann wird mir schlecht" (60). Was
will die Frau mit diesem Buch? Für wen hat sie ihr Buch geschrieben?
Für uns? - Dann erledigt sich doch eigentlich ein Glossar!
Für unsere Eltern? - Nein, die haben es nicht geschafft und
beweisen laut Frau Hensel schlechten Geschmack! Für die Wessis
in unserem Alter, die Italiener, Spanier und Franzosen, die beim
Reden über Asterix und Obelix ins Schwärmen geraten,
aber Fix und Fax nicht kennen und uns deshalb nicht verstehen?
- Nein, denn sie können ja eben das nicht verstehen, um was
es Jana Hensel mit ihren Zonenkindern geht. Unwillkürlich müssen
wir lächeln, wenn Frau Hensel bedauert, dass "die Dinge
[
] einfach nicht mehr danach [hießen], was [???, MaW]
sie waren" (22), dass die Kindheit ein Museum ohne Namen
sei (23) und wenn sie einerseits vom "Trauma" (vgl. 135)
einer ganzen Generation spricht, andererseits aber ihre Qualitäten
als Westdeutsche schon allein durch ihr widersprüchliches Buch
beweist, dann geht uns der Hut hoch. Mit diesem Buch wird Geld verdient.
Seite für Seite beweist Frau Hensel, wie gut sie ihre Lektion
gelernt hat. Damit scheint sie aber nicht zurechtzukommen. Sie sucht
einen Schuldigen und sie sucht die DDR. Bedauern Vertriebenenverbände
verständlicherweise den Verlust ihrer Erinnerungsorte, so bedauert
Frau Hensel unverständlicherweise etwas ähnliches. Sie
vermisst ihren Schulweg, sie vermisst ihre Speckitonnen und ihre
SERO-Annahmestellen. Ihre Stadt sei nicht mehr ihre Stadt sagt sie,
während sie mit ihrem(!) Auto in der Weltgeschichte herumfährt.
Irgendwas ist hier verkehrt, sagen wir uns als Leser.
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Suchen
wir doch noch einmal systematisch nach den Gründen für dieses
Buch. Es handelt von der Suche nach etwas. Es handelt auch von Veränderungen.
Und es ist autobiografisch, mit einem dokumentarischen Anspruch. Die
Autorin spricht von sich selbst. Nun ist sie Jahrgang 1976, war also
zur Wende gerade 13 Jahre alt. Den Beginn ihrer und unserer persönlichen
Adoleszenz markiert also auch ein politischer Umbruch. Überraschenderweise
sind jetzt aber die angeblich verlorene Kindheit und die Insignien
der DDR für Hensel wichtiger, als die 1990er Jahre, die doch
ihre wie unsere eigentliche Entwicklung viel maßgeblicher beeinflusst
haben müssten. Letzteres beweist sie selbst durch unzählige
Referenzen an popkulturelle Phänomene eben dieses für unsere
Generation prägenden Jahrzehnts: das Motto zitiert die Sterne
und im Text bedauert sie, den Wunsch danach, Teil einer Jugendbewegung
zu sein, durch ihre Herkunft nicht erfüllt haben zu können.
Und bemerkt dabei gar nicht, wie sehr sie Teil einer Jugendbewegung
ist und wie bedeutend sie sich durch Sex in den Trümmern
findet. Ihr Schreibmotiv wurde wahrscheinlich auch von Tocotronic
formuliert: Ich bin zu jung, um meine Biographie zu schreiben/
und zu alt, um ewig jung zu bleiben. Die 90er werden von ihr gar
nicht mehr als Jahrzehnt empfunden - sie dauerten fast genauso lange,
wie ihre Kindheit in der DDR -, es geht vom Mauerfall direkt zu Gerhard
Schröder. Das Neue, das Prägende, das Selbstgeschaffene
dieses unseres Jahrzehnts bedeutet für sie nicht halb so viel,
wie die engen, dumpfen Jahre der 80er. Unsere Erinnerungen sind nicht
die Neue Deutsche Welle, sind nicht Nena oder Ragazzi.
Aber auch DT 64 und Elfneunundneunzig sind nicht so wichtig
wie Tocotronic oder Simpsons. Hiervon könnte sich
Hensel dann etwas aussuchen, was als Gesprächsthema auch mit
internationalen Freunden taugt. Das eine ist nicht schlechter als
das andere. Das eine sagt auch nicht mehr über den Charakter
aus als das andere. Es wäre auch zu albern, würden wir unsere
Freundschaften nach genealogischen Kenntnissen in der Lindenstraße
aussuchen. Für Hensel sind diese Kleinigkeiten aber wichtiger.
Und dabei tappt sie in die typische Reminiszenzfalle - die DDR verklärt
sich zu einer schematischen Kitschpostille. Ein Klischee jagt das
andere, z.B. soll es für alles noch feste Begriffe gegeben haben.
Wie bedauerlich ist es auch für uns, nun nicht mehr Fidschis
(vgl. 22) sagen zu dürfen. Plötzlich sei die Welt kleiner
geworden? (vgl. 99) Plötzlich muss man für sich selbst
Verantwortung übernehmen. Plötzlich kann man diese Welt
selbst betrachten. und darf sich erproben, kann auf Scheinsicherheiten
verzichten und bekommt einen freien Blick. Wer die Reizüberflutung
nicht aushält, wer sich nicht zurechtfindet im kulturellen Tohuwabohu,
im westlichen Trend des Antitrends, im selbstgeführten Schritt
voraus, ja, der muss sich natürlich sehnen nach den festen Begriffen
der Kindheit. Nach der heilen Welt, die aus der dunklen Bedrohung
resultierte. Wenn ich für uns sprechen dürfte, ich würde
sagen: lieber die Mauer deflorieren, als den Charakter korrumpieren.
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Die erste Metapher,
dass der Fall der Mauer den Verlust der Unschuld darstellt, ist
eigentlich gut gelungen. Auch dass wir uns die Initiation für
DM 100,- kaufen konnten, ist leider wahr. Aber warum wird das eine
so bieder und negativ gesehen, das andere jedoch, der Kommerz, praktiziert?
Wahrscheinlich weil die Wessis anders waren als wir, aber Frau Hensel
meint: "Ich war eine von ihnen. Doch erst jetzt wusste ich
es auch." (112) Warum nicht wir? Waren wir anders als sie?
Wir sind doch auch Zonenkinder, Ostwestkinder (54).
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So
wenig solche Bücher über die DDR verraten, so klar führen
sie uns den Charakter ihrer Autoren vor Augen. Die zugegebenermaßen
scharfsinnigen Beobachtungen, die zu einer differenzierten Kritik
an der Ostalgie taugen könnten, gehen im Einheitsbrei des "Es
war nicht alles schlecht!" unter und verlieren durch die unzähligen
grammatischen und stilistischen Fehler an Glaubwürdigkeit. Frau
Hensel widerlegt sich mit ihren eigenen Worten: "Der Osten war
oft nichts anderes, als das, was wir in unserer Fantasie daraus machten"
(74). Was ihre Fantasie daraus gemacht hat, wird nun vom Publikum
dankbar angenommen. Eine neue Norm der Auseinandersetzung wird hier
gesetzt. Wer konfrontiert sich schon gern mit der historischen Wirklichkeit
in geschichtlichen Abhandlungen? Und so richtige Ossis sind wir ja
auch nicht, so dass wir Daniela Dahn lesen wollten. Was bleibt uns
übrig, als Janas Buch zu feiern. Ihr Buch ist zwar sentimental,
unreif, widersprüchlich und geschichtsrevisionistisch. Ihre Gedanken
aber sind unsere Gedanken. Wir lassen uns unsere DDR nicht von anderen
kaputt machen, nein, wir machen sie selbst nur soweit kaputt, dass
es für ein bisschen Herzschmerz immer noch reicht. Und wenn sich
damit auch noch Geld verdienen lässt: um so besser (im Gegensatz
zu Hensel meinen wir das ironisch). Ein bedeutender Vers aus einer
eben auch in der DDR vorhandenen, aber nicht in Hensels ach so großer
DDR-Galaxie vorkommenden, subkulturellen Welt, wäre prägender
für uns gewesen, hätte er uns vor der Wende erreicht: "Mach
dich doch selbst kaputt/ bevor es jemand anders tut!" |
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